Paulo Mendes Pinto
Das portugiesische Verhältnis zu dem eigenen jüdischen Erbe ist komplex und wird durch Ängste und Misstrauen aufgrund von Jahrhunderten von Inquisition und einem weiteren halben Jahrhundert nationaler katholischer Diktatur während des zwanzigsten Jahrhunderts, geprägt.
Nicht vor dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts haben jüdische Studien an Relevanz zugenommen und zur Entdeckung der jüdischen Vergangenheit beigetragen. Teilweise waren Individuen an ihren jüdischen Vorfahren interessiert, darüber hinaus stand auch die nationale kollektive Identität im Vordergrund.
Die Generation wissenschaftlicher Erkenntnisse, eine weitverbreitete Wertschätzung des jüdischen Erbes durch staatliche Institutionen und offizielle Diskurse resultierten in einer Implosion von Kongressen, Kursen, Ausstellungen und Publikationen über die portugiesische jüdische Vergangenheit im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends.
Das jüngste Staatangehörigkeitsgesetz, welches in Portugal gebürtigen Jüd*innen die Staatsangehörigkeit garantiert, ist ein wichtiger Meilenstein dieses Prozesses.
Der Artikel erforscht den Prozess der Entdeckung der sephardischen Vergangenheit als lieu de mémoire der portugiesischen kulturellen Identität und stellt Initiativen, Institutionen, Inhalte und Motivationsgründe für eine solche Wiederentdeckung heraus.
Zudem betrachtet er die Einzigartigkeit des Gedächtnisbooms in einem Land mit einer geringen jüdischen Bevölkerung und analysiert, wie staatliche Institutionen mit den jüdischen Gemeinschaften in Portugal, welche sich in einem großen Ausmaß aus aschkenasischen Jüd*innen zusammensetzen, interagieren.
